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01. - 07. Juli 2019
Wiedersehen nach 62 Jahren

Bad Arolser Olaf Steuer gibt mit 77 Jahren EM-Debüt und trifft Jugendfreund

Autor:

Bezirkssportwart Nord & Kreissportwart Waldeck-Frankenberg

So sehen Sieger aus...!!! ©Copyright: Olaf Steuer, TUS Helsen

VON REINHARD SCHMIDT (WLZ)

Budapest/Helsen – Einmal an einer Welt- oder Europameisterschaft teilnehmen. Diesen Wunsch haben viele Sportlerinnen und Sportler, aber nur wenige können sich ihn auch erfüllen. Die Türsteher heißen hier Qualifikation. Es sei denn, er oder sie spielt Tischtennis und ist 40 Jahre alt und älter. Dann ist jeder willkommen, egal, ob er nun in der Kreisklasse oder in der Bundesliga spielt oder gespielt hat.

Diese offene Tür für alle birgt natürlich auch Risiken, wie etwa mit einer Höchststrafe 0:11, 0:11, 0:11 seine spielerischen Grenzen erbarmungslos aufgezeigt zu bekommen.

Sie bietet aber auch Chancen, einmal gegen einen ehemals großen Spieler einige Bälle zu schlagen.

Olaf Steuer blieb die Höchststrafe erspart. Der Bad Arolser hätte sich aber schon seit 36 Jahren seinen EM- oder WM-Traum erfüllen können, aber er musste dafür erst 77 Jahre alt werden. Er war einer von 3382 Teilnehmern der Senioren-EM, die Anfang Juli in der ungarischen Hauptstadt Budapest stattfanden.
Als Europameister ist der gebürtige Berliner natürlich nicht ins Waldecker Land zurückgekehrt, obwohl er bei diesem Turnier endlich mal nur gegen Spieler antreten durfte, die auch seine Altersklasse haben. Das kommt im Liga-Alltag nicht vor, denn Steuer steht in der Mannschaft des TuS Helsen immer noch in der Bezirksklasse seinen Mann.

Immer wieder hatten ihm Spieler bei größeren Turnieren von der tollen Atmosphäre bei einer Senioren-Welt- oder Europameisterschaft vorgeschwärmt und er solle doch mal mitkommen. Doch Steuer fehlte bislang der letzte Ruck, sich in die Meldeliste einzutragen. Dass er in seiner Altersklasse Ü 75 durchaus konkurrenzfähig sei, habe er 2010 bei der Senioren-Hessenmeisterschaft in Bad Arolsen gesehen. „Da war ich nur Zuschauer, habe aber gedacht, da könnte ich noch gut mithalten.“ In diesem Jahr gab sich der 77-Jährige diesen Ruck und buchte die Fahrkarte nach Budapest. Als Einzelkämpfer auf weiter Flur reiste er an, keine Trainer, kein Physio, kein Betreuer. Nur Steuer und sein Schläger.

Er wolle mit seiner Teilnahme vor allem auch andere Tischtennisspieler dazu animieren, es ihm gleichzutun, sagt Steuer. „Das ist nicht nur sportlich ein tolles Erlebnis, sondern vor allem auch menschlich. Man trifft so viele Leute aus anderen Ländern und trotz des sportlichen Wettbewerbs hilft jeder jedem.“

Für Steuer war Budapest auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. Er war im Vorfeld der EM beim Durchschauen der Teilnehmerliste über einen Namen gestolpert: Joachim Sax aus Berlin. Das ist doch nicht etwa der Achim Sax, mit dem er als Kind und Jugendlicher Tischtennis bei Schwarzweiß Rudow gespielt hat? Steuer rief bei Sax an und es war tatsächlich „sein“ Achim. Das Doppel für Budapest war sofort beschlossene Sache.

Es war ein Wiedersehen nach 62 Jahren. Und, haben sich auch beide auf Anhieb wiedererkannt? Steuer muss lachen. „Wenn wir uns zufällig auf der Straße begegnet wären, hätten wir uns vermutlich nicht erkannt“, bekennt er. Sportlich war das Doppel im Turnier mäßig erfolgreich, aber menschlich umso mehr.
Steuer hat in Ungarn auch eine andere ehemalige Vereinskollegin wieder getroffen. Jutta Baron spielt heute noch für den TTC Neukölln. Sie wurde Ü-75-Europameisterin. Von diesem Titel war Steuer im Einzel doch noch einige Schmetterschläge entfernt.


Die Konkurrenz war stark und zahlreich. 192 Spieler buhlten in der Altersklasse Ü75 um den EM-Titel. „Natürlich war ich am Anfang sehr aufgeregt, trotz meines Alters“, gibt Steuer zu.

Er betrat auch Neuland, denn er hat noch nie ein Turnier gespielt, wo 134 Tische standen und der Geräuschpegel so hoch war. „Manchmal war es so laut, dass man das Aufspringen des Balles nicht gehört hat.“

Der Bad Arolser schied in der Vierergruppe unglücklich als Dritter aus. Den Briten geschlagen, aber gegen den Sachsen Dietmar Graul und den Franzosen knapp verloren.

Doch Steuer durfte dann wie 86 andere Spieler in der Trostrunde weiterspielen. Hier war der Bad Arolser in den K.o.-Spielen unschlagbar, gewann das Finale. „Dass es dann so gut läuft, damit hatte ich selbst nicht gerechnet.“ Steuer ist quasi der Ü75-Europameister der Trostrunde.

Doch auch neben der Tischtennisplatte gab es für den 77-Jährigen viel zu entdecken. So waren auch einige alte Bekannte von seinem ehemaligen Verein Eintracht Nordhorn (Verbandsliga) da, die den Einzelkämpfer aus Waldeck-Frankenberg gern wieder in ihren Kreis aufnahmen.

Und auch der ein oder andere ehemalige Promi läuft einem bei diesem Turnier nicht nur über den Weg, sondern wenn es passt, kann man mit ihm sogar ein paar Bälle im Training schlagen. Doch auch der Vize-Europameister von 1962, Erich Arndt (Mörfelden), oder der mehrfache deutsche Meister Wilfried Lieck gingen bei dieser EM leer aus.

Der vermutlich beste Tischtennisspieler der DDR, Siegfried Lemke, holte hingegen den Titel (Ü 80) und auch die deutsche Nationalspielerin Olga Nemes darf sich nun Europameisterin der Ü 50 nennen. „Von diesen Spielern kann auch ich immer noch eine Menge lernen“, betont Steuer.

Der gelernte Industriekaufmann, den es 1976 beruflich nach Bad Arolsen zog, musste sein Spiel mit dem Älterwerden verändern. „Man wird einfacher langsamer und so wurde ich von einem offensiven Spieler eher zu einem eher defensiven.“ Da kommt ihm auch nicht gerade entgegen, dass der Tischtennissport stetig athletischer und schneller wird. Doch all das schreckt ihn nicht davon ab, auch künftig dem weißen Ball hinterherzulaufen. Und die guten Erfahrungen von Budapest, haben in ihm die Lust auf mehr WM oder EM geweckt.

„Achim und ich wollen 2020 bei der WM in Bordeaux wieder Doppel spielen“, sagt Steuer und fügt fast schon entschuldigend hinzu: „Aber nur, wenn wir gesund bleiben.“

Impressionen aus der Halle ©Copyright: Olaf Steuer, TUS Helsen
Impressionen aus der Halle ©Copyright: Olaf Steuer, TUS Helsen
Impressionen aus der Halle ©Copyright: Olaf Steuer, TUS Helsen
Impressionen aus der Halle ©Copyright: Olaf Steuer, TUS Helsen

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